Hans Boehler (1884-1961). Am Puls des Jazz: Bilder aus dem Spätwerk

17 März - 15 April 2022
Übersicht
SONJA MENCHES:

1960 fand in der New Yorker Artists’ Gallery eine Retrospektive des Schaffens von Hans Boehler statt. Der Katalog zur Ausstellung  konzentrierte sich auf großformatige Ölbilder des Künstlers aus den Jahren 1948 bis 1959. Sechs dieser insgesamt elf Ölbilder stehen im Zentrum unserer aktuellen Ausstellung. Sie zeigen Frauenfiguren in sehr unterschiedlichen Konstellationen. Gemeinsam ist ihnen die intensiv leuchtende und überraschende Kontraste setzende Farbigkeit.


Bilder mit Aktdarstellungen expressiv schlanker weiblicher Physiognomien reihen sich unter Darstellungen von Gruppen junger, aus dem Alltag gegriffener Frauen. Boehler benennt seine Werke mit „Fury“, „Echo“ oder „The Gossips“, während andere mit ihren Titeln („Drei Grazien“, „Danaë“) auf mythologische Themen anspielen. Das im New Yorker Katalog abgebildete Bild „The Age of Jazz“, heute in einer privaten Sammlung, überragte mit seinem Format von 178,5 x 205 cm andere Werke. Sein programmatischer Titel dient als Anregung für unsere Ausstellung „Am Puls des Jazz“ und als Schlüssel zum späten Schaffen von Hans Boehler.

 

 

 

       "The Age of Jazz", 1959
        Öl/Lw, 178,5 x 205 cm

        (Privatbesitz; Courtesy

        Galerie Martin Suppan, Wien)

 

 

 

Jazz war ab den 1920er-Jahren ein revolutionäres Phänomen des gesellschaftlichen Wandels. Er steht für die Freiheit des Individuums und der Kunst, für Emanzipation.

 

Boehler bewegte sich immer in einer künstlerisch-kulturellen Avantgarde. Er war sensibel für Entwicklungen, die in der Luft lagen. Seine eigene Geburtsstunde als Vertreter der Avantgarde hatte er um 1909/1910 im Kreis der jungen Wiener Expressionisten um Egon Schiele, genannt „Neukunstgruppe“. Überdurchschnittlich präsent und prägend war in seinem Leben aber auch die Musik. Aufgewachsen in einer besonders kunst- und musikaffinen Familie, besuchte er schon in Kindertagen Aufführungen der Bayreuther Festspiele. Seine Eltern waren bekannte Förderer von Richard Wagner. Boehler zog in jungen Jahren eine professionelle musikalische Ausbildung in Betracht. Erst ein gewonnener Wettbewerb des Wiener Aquarellistenclubs stellte die Weichen hin zur bildenden Kunst. Dennoch: Musik hatte stets einen hohen Stellenwert in seinem Leben. Wien spielte als Brutstätte für eine internationale Musikavantgarde und Austragungsort skandalumrankter Uraufführungen eine aktive Rolle. Musik definierte sich klar als innovativer und wesentlicher Kulturträger und war ein Identitätsfaktor. Im New Yorker Exil ab 1938 war sie für Boehler eine ortsunabhängige „innere Heimat“ und Anlass zu bewusster Auseinandersetzung. In einem seiner Notizbücher dieser Zeit hält er unter anderem Namen von verschiedenen Sängerinnen fest. Unterstrichen und eingerahmt sind jene von Bessie Smith und Billie Holiday. Smith war bereits eine große Stimme des Blues, Holiday sollte die Geschichte des Jazz aber erst wesentlich prägen.

 

Im Exil bot Boehler die Musik, vor allem der Jazz, eine Art innere Heimat.

 

Wir wissen auch, dass Boehler in New York bevorzugt Jazzbars in Harlem frequentierte. Im Unterschied zu Wien, wo er in der legendären „Kaiserbar“ der Familie seiner damaligen Gefährtin Friederike Beer-Monti spätestens seit den 1920er-Jahren gepflegten Jazz hörte, handelte es sich in New York um Orte, an denen sich Vitalität, Künstlertum und Menschlichkeit gegen Segregationsgesetze, Krieg und andere politisch-kulturelle Unbill stemmten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Hans Boehler in New York, um 1940                                 Boehler und Selma Burke in N. Y., um 1935

 

Der Krieg, die Shoa, der Verlust vieler Freunde und nicht zuletzt die Zerstörung seines Wiener Ateliers, in dem in vieler Hinsicht Kostbares aufbewahrt war, führten den Künstler spätestens ab 1945 in eine tiefe Krise. Entwurzelung und Desillusionierung ließen die „Suche nach der Wahrheit in der Kunst“ obsolet erscheinen. Noch 1947 spricht er in einem Brief davon, dass er die Malerei „in die Ecke gestellt“ hat. (Zeichnungen hingegen dienten ihm auch in dieser Zeit als Medium, um sich vor allem mit Akten und Porträts respektive mit der Wirklichkeit − spontan − auseinanderzusetzen.)

 

Grundsätzlich schien Boehler, soweit man das heute beurteilen kann, bis dahin vergleichsweise gut mit den neuen Lebensumständen zurechtgekommen zu sein. Seine Arbeiten wurden nicht nur in New York in der Artists’ Gallery {siehe auch Biografie}, sondern bereits 1938 in Boston und Chicago gezeigt. Sie bekamen gute Kritiken, und auch Bildverkäufe an Institutionen folgten. Seine sprachliche Gewandtheit im Englischen, weitläufige Reisen in den Jahren zuvor und die finanzielle Unterstützung durch seinen Bruder Richard gaben ihm eine gute Grundlage. Ausgehend von der Artists’ Gallery war er als Künstler mit einer Art Szene und wohl auch mit anderen aus Österreich geflüchteten Kolleginnen und Kollegen in Verbindung. Aber auch wenn es für ihn in den USA Anerkennung gab und ihm damit etwas gelang, was nicht jedem vergönnt war: Für Boehler war es klar, dass er fernab der künstlerischen Avantgarde agierte. Er hatte keinen Kontakt zu jenem Kreis, aus dem sich ab Ende der 1940er-Jahre der abstrakte Expressionismus entwickelte (später als New York School bezeichnet), der die Kunstwelt in den 1950er-Jahren dominierte. (Interessanterweise sollte die Figuration jedoch schon Anfang der 1960er-Jahre mit der Pop-Art ganz „offiziell“ in die Kunst zurückkehren …).

 

Boehler hatte aber offenbar gute Kontakte zur afroamerikanischen Kulturavantgarde. Allen voran sei hier die Bildhauerin Selma Burke (1900−1995) genannt, später eine der ersten in den USA anerkannten afroamerikanischen Künstler*innen überhaupt. Wann und wo genau Boehler seine Lebensgefährtin dieser Jahre traf, ist unklar. Möglicherweise hatte er sie schon in Wien kennengelernt, wo sie 1934/35 dank eines Stipendiums Schülerin von Michael Powolny an der Kunstgewerbeschule war. Spätestens seit 1936 waren Burke und Boehler, der sich schon damals häufig in den USA aufhielt, miteinander liiert. Über Burke kam Boehler mit der Harlemer Musik-, Kunst- und Literatenszene in Kontakt. Burke war Mitglied der „Harlem Renaissance“, einer ursprünglich von vor allem afroamerikanischen Schriftstellern vorangetriebenen Bewegung, die sich dem Kampf um Anerkennung künstlerischen Schaffens nicht-weißer Künstler*innen widmete.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

"Jack Carter's Bar in Harlem", 1942, Öl/Lw, 83 x 130,5 cm (Belvedere Wien)

 

Schon 1942 malte Boehler das Bild „Jack Carter’s Bar in Harlem“, das sich heute in der Sammlung des Belvedere in Wien befindet. Beim Betrachten dieses Bildes wird man lebensnah (und lebensgroß) an das Geschehen in der Bar herangeführt. So nahe, dass eine Konfrontation mit den hinter einem Tresen befindlichen Personen unausweichlich ist. Ihre jeweils gesenkten Blicke erlauben oder zwingen einen zu fast intimer Nähe. Die dargestellten Personen sind davon unberührt, sind mit sich selbst beschäftigt. Ihre Gesichter malte Boehler als psychologisch tief gehende Porträts. Sie berühren und gehen menschlich nahe. „Die Orchestrierung der Farben“ − wie es Boehler gerne nannte − wird im Vordergrund vom dunklen Grün und Blau der Kleidungen dominiert. Harte, dunkle Schlagschatten und helle Lichtreflexe zerklüften die Oberflächen. Der Hintergrund, der Raum des Lokals, ist buntfarbig; zum Teil setzt Boehler grelle Farbakzente, welche die eigentliche Farbigkeit überstrahlen.
 

Motivisch vergleichbare Szenerien aus früheren Jahren sublimieren Expressives oder Stimmungs-haftes zu einem subtil gedämpften, nur unter-schwellig brodelnden Farbgefüge von ausgesuchter Eleganz. 

 

Charakteristika von Boehlers Malerei der späteren Schaffensjahre sind im Wesentlichen eine neue Vehemenz sowie eine Direktheit im Ausdruck. Die Farbgebung löst sich aus einem übergeordneten Konzept komplexer Harmonien, die Formen aus einem tektonischen Gefüge.


Das von Gauguin beeinflusste Farbempfinden (Boehler besaß zumindest ein Werk des Künstlers) rückt in den Hintergrund und macht sukzessive einer Palette Platz, die den Fauves oder den deutschen Expressionisten (Karl Schmidt-Rottluff!) in ihrer Direktheit näher ist. Eine Farbästhetik, die aber auch mit den modernen und „flashigen“ Neonreklamen New Yorks verwandt war.

 

 

"Kaiserbar", 1932, Öl /Lw, 114 x 162,3 cm (Privatbesitz; Courtesy Galerie Martin Suppan)

 

Das 1959 und somit am Höhepunkt der neuen Entwicklungen entstandene Werk „The Age of Jazz“ (Abbildung siehe oben) zeigt schließlich weder eine Jazzbar noch Musikerinnen, sondern drei gut gelaunte und à la mode in Hosen sowie flachen Schuhen gekleidete junge Frauen. In salopper Haltung sitzend sind sie dennoch in zuckender Bewegung, als ob sie tanzen. Kontrastreich aufflackernde Farben und unregelmäßig geformte Farbfelder vermitteln Dynamik, die sich in atmosphärischer Gelöstheit äußert. Man liefert sich den imaginären Rhythmen nicht aus, sondern lässt sich beflügeln. Nicht die Ekstase, nicht ein rauschhafter Zustand der Selbstentäußerung ist das Thema, sondern eine Art (neu) beschwingte und in ihrem Optimismus einladende Normalität, wie sie Boehler nun in aller Deutlichkeit und quasi als Aufforderung zur Sprache bringt.

 

"Summer on the Hudson", 1957, Öl/Lw, 114,5 x 162,5 cm (Giese und Schweiger)

 

„Summer on the Hudson“ (1957) und „The Gossips“ (1958) gehen „The Age of Jazz“ zeitlich voran. Die Wirkung von flammendem Rot, leuchtendem Orange und Gelb verschmilzt mit den lebensgroß dargestellten jungen Frauen und führt beim Betrachten zu einer beeindruckenden Begegnung. Die Dargestellten sind weder porträthaft noch unter intendiert erotischem Blickwinkel wiedergegeben. Sie nehmen sich die Freiheit, bekleidet oder unbekleidet zu sein, und gehen davon unbeeindruckt ihren Gesprächen nach. Unbekümmertheit und Gelassenheit entspringen einer ausgesprochen lebensbejahenden Vitalität. Die Dargestellten vermitteln ein Lebensgefühl, das von Boehler mittels einer kraftvollen Farbpalette nachvollziehbar gemacht wird. 

 

Unorthodox, schnell, virtuos und kraftvoll!

 Gleich einem Feuerwerk an Lebensfreude lässt Boehler auch in den anderen Bildern die Farben Stimmungs- und Bewegungsimpulse vermitteln. In dem 1956 entstandenen Gemälde „Danae“ ist Zeus’ Geliebte demnach nicht in klassisch passiver, erwartungsvoller Ruhelage wiedergegeben oder in sinnlicher Trance wie bei Klimt. Die Farbigkeit, deren dunklen Rottönen durchaus etwas mystisch Sinnliches anhaftet, sowie die Modellierung der Körperformen und die Körperhaltung selbst sprechen von Bewegung und Bewegtheit. Danaë ist offen für eine Begegnung (mit Zeus?), sie löst sich aus der liegenden Position. In der Ferne oder in Annäherung hat sie etwas entdeckt, ihre linke Hand ist einladend ausgestreckt. Ist sie im Begriff sich aufzurichten? Sie lächelt! − Einerlei, worauf ihre Bewegung hinausläuft: Danaë reagiert auf innere Impulse und drückt mit ihrer Reaktion eigenen Willen und Eigenständigkeit aus. Sie ist nicht (vornehmlich) als Projektionsfläche, sondern über ihre Aktivität definiert.

 

 "Three Graces", 1956, Öl/Lw, 154 x 144 cm (Giese und Schweiger)

 

Bei Betrachtung der „Drei Grazien“ (1956) stechen einem sowohl Selbstbestimmtheit als auch Energiegeladenheit ins Auge. Die drei Akte − traditionell Euphrosyne, die „Frohsinnige“, Thalia, die „Blühende“, und Aglaia, die „Strahlende“, − stehen zur klassischen Interpretation des Motivs in Spannung. Boehler lässt sie aus einem historischen Korsett heraustreten und eine (menschlich) aktive, auffordernde Rolle im Sinn von Zivilcourage einnehmen. 

 

Boehler unterstreicht das selbstbewusste Auftreten der Frauen mittels Farben, die in Intensität und Kontrastfreudigkeit aufhorchen lassen und unorthodox wirken. − Unorthodox, schnell, virtuos und kraftvoll wie - man erlaube diesen synästhetischen Vergleich − die Musik eines Charlie Parker oder Dizzy Gillespie.
 

Geht man von den „Drei Grazien“ (1956) zeitlich ein wenig zurück, trifft man auf das 1948 entstandene Gemälde „Fury“. Es ist das früheste unter den hier besprochenen Werken. Ungewöhnliche Farbharmonien und eine Sehgewohnheiten unterlaufende Interpretation des Frauenaktes treten hier erstmals auf. Sie lassen das Gemälde neu und andersartig erscheinen.

 

„Fury“ ist Symbol für Boehlers wiedererwachte Schaffenskraft. Sie bildet 1948 den Auftakt zur späten Schaffensphase des Künstlers.

 

 "Fury", Öl/Lw, 186 x 101,5 cm (Giese und Schweiger)

 

Die in „Fury“ dargestellte Frau ist von zarter, mehr als schlanker Statur, stellt sich uns aber in berückender Nachdrücklichkeit gegenüber. Ihr rechter Arm ist abgewinkelt, die Hand berührt die Schulter. Sie verweist damit auf sich, ihr Da-Sein und So-Sein. Die fragilen Gliedmaßen modelliert Boehler aus fruchtig-flammenden Pink- und Orangetönen, denen er leuchtendes Grasgrün entgegenstellt. Der Bereich der Scham ist farblich besonders hervorgehoben. Eingebettet ist die Figur in einen abstrakten Farb- bzw. Stimmungsraum, der die Grünschattierungen mit Erdigerem kombiniert und „Gewicht“ verleiht. Aufrechten Hauptes wendet die Frau uns das Gesicht zu. Boehler zeigt uns eine sehr feminine, aber nicht mütterliche Frau. Und: Sie ist zwar fragil, aber alles andere schwach. „Fury“ − auf Deutsch „Wut“ oder „Zorn“ − ist bestimmt, selbstbestimmt, ihr Auftreten eindringlich und entschlossen. Der Frau haftet beinahe etwas Heroisches an. Ihre Erscheinung definiert sich aus sich heraus und gibt kaum Raum für Projektionen, durchaus aber für Assoziationen. „Fury“ scheint auch für Boehler ein Zeichen des Aufbruchs und einer Entschlossenheit zu sein. 

 

Seine Deutung des weiblichen Akts macht ein neues, selbstverständlich aktives Frauenbild spürbar. In puncto einer couragierten Haltung steht „Fury“ aber auch allgemein für den Menschen und seine Werte an sich.
 

Der zweite große stehende Einzelakt in unserer Ausstellung ist „Echo“. Er wirkt auf den ersten Blick wie ein Pendant zu „Fury“, ist jedoch erst 1955 entstanden und weist leicht abweichende Maße auf. Im Katalog von 1960 ist ein dritter, 1952 zu datierender Akt abgebildet: „The Magic Wand“ (= Der Zauberstab) abgebildet. 2015 konnten wir alle drei Bilder gemeinsam präsentieren und uns von der beeindruckenden Wirkung überzeugen. Die Akte sind sehr ähnlich im Bild positioniert, vermitteln aber jeweils eine eigene Charakteristik. Echo, eine Bergnymphe, taucht wie eine Vision aus dem Dunkel des Waldes auf. Bunte Lichter fallen auf ihren Körper und bilden Farbfelder, aus denen sich ihr Körper modelliert. Entsprechend dem späteren Entstehungsdatum weist „Echo“ extremere Farbkontraste als „Fury“ auf, die Modellierung von Gegenständlichem ist teilweise einem spontanen Pinselduktus überlassen. Man hat den Eindruck einer momenthaften Erscheinung. Sie wirkt ungreifbar wie das nach ihr benannte Echo. Intensive Rottöne verleihen dem Bild aber tiefe Emotionalität. Anders als die beiden Frauen in „Fury“ und „The Magic Wand“ ist Echo mit ihrem zur Seite gedrehten Gesicht und ihrem sich an einen Felsen (?) lehnenden Körper zurückhaltend.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

"The Magic Wand", 1952, Öl/Lw, 188 x 95 cm                          "Echo", 1955, Öl/Lw, 195,6 x 111,7 cm

(Privatbesitz, Schweiz)                                                                              (Giese und Schweiger)

 

 

Die Titel der Akt-Trias werfen Fragen auf. Handelt es sich um literarische Anspielungen, die bewusst zum Zeitpunkt der Ausstellung gesetzt wurden? Könnte es sein, dass sich „Fury“ gemeinsam mit „Echo“ (wird vom altgriechischen Wort ēchē abgeleitet, das auf Deutsch Schall bedeutet) auf William Faulkners Roman „Schall und Wahn“, im Original „The Sound and the Fury“ (1929), bezieht? Faulkners Romantitel wiederum zitiert aus Shakespeares „Macbeth“: „Leben … ist nichts mehr als eine Fabel, erzählt von einem Idioten, voll mit Schall und Wahn, die nichts bedeutet.“ Faulkner erhielt 1949 den Nobelpreis für Literatur, 1959 entstand eine viel diskutierte Verfilmung von „Schall und Wahn“. Ein wesentlicher Aspekt dieses Romans ist die Kritik am gesellschaftlichen System des Südens, das auf der Unterdrückung der afroamerikanischen Bevölkerung aufbaute. 

 

Ein anderes Werk Boehlers (nicht im Katalog der Artists’ Gallery) mit vermutlichem Bezug zu einem zeitgenössischen Thema ist „High Noon“ (1961). Der legendäre Film gleichen Titels, den der Exil-Wiener Fred Zinnemann gedreht hatte, erhielt 1953 vier Oscars und ist eine Abrechnung mit der McCarthy-Ära. Allgemein geht es aber um die Freiheit des Individuums und den Kampf gegen Diskriminierung. Boehler versammelt unter diesem Titel eine Gruppe weiblicher Akte, die der bzw. dem Betrachtenden geeint − viribus unitis! − und herausfordernd gegenüberstehen. Eine entschlossene und farblich temperamentvoll charakterisierte Phalanx.

 

  "High Noon", 1961, Öl/Lw, 145 x 155 cm (Privatbesitz, Österreich)

 

 

Die Frau ist neben der Landschaft zentrales Motiv in Boehlers Œuvre.

 

Die Frau als Motiv in der Kunst kann an dieser Stelle nur grundsätzlich angesprochen werden. Boehler ist in seinem Verständnis der Funktion bestimmter Motive von der Kunst um 1900 geprägt. Auch die Frauendarstellungen von Gustav Klimt bauen auf der Ambivalenz im Sinn einer Vielschichtigkeit auf. Die Frau war mitunter auch einfach „nur“ Frau, aber meist Personifikation, Sinnbild oder Projektionsfläche für Ideelles, für Schönheit schlechthin. Der Wandel von Rollenbildern und das Aufkeimen von Unabhängigkeiten auf Seiten der Frauen setzte in der Kunst um 1900 neue Akzente. Die Auseinandersetzung mit der (sexuellen) Macht der Frau führte zu einer neuen Aufladung des Frauenbildes in der Kunst.

 

Boehler setzt sich interessanterweise erst in seinem Spätwerk (siehe auch Katalog von 1960) mit machtbewussten Frauenfiguren wie „Salome“ (1957) und „Circe“ (1956) auseinander. Themen, deren Gültigkeit bis in die Gegenwart reicht.

 

Im Spätwerk bringt Boehler - soweit bekannt - erstmals auch konzentriert Frauenfiguren mit mythischer Symbolhaftigkeit zur Diskussion. Parallel schafft er Frauenfiguren, die aus seinem zeitgenössischen „Jetzt“ gegriffen sind und gleichfalls ideelle Botschaften überbringen.

 

In Boehlers Landschaftsbildern lassen sich die oben besprochenen Entwicklungen betreffend Farbe und Form ebenso nachvollziehen.

 

 "Red Roofs", 1929/30, Öl/Lw, 50 x 73,5 cm (Giese und Schweiger)

 

Otto Breicha ortet treffend den Grundtenor im frühen und mittleren Schaffen von Hans Boehler im „daseinsintensiven Wahrnehmen“. Das umfasst eine besondere Sensibilität auch für nicht offensichtliche oder vordergründige Qualitäten einer Stimmung, einer Situation, eines menschlichen oder landschaftlichen (Erlebnis-)Charakters. Boehler hat ein Sensorium für die feinen, unsichtbaren Gespinste, die das Mit- und Zueinander oder das persönliche Erleben prägen. Seine sublimierten Erkenntnisse bettet er äquivalent in komplexe Farbkonstellationen ein. Vordergründigkeit, Gefühlsverlogenheit oder gar Kitsch lehnt er ab. Auch seine Landschaften fordern die Wahrnehmung der Betrachtenden, stellen sich als Kondensat von Erlebnis, Erfahrung, von differenziert Gedachtem und Gefühltem gegenüber.

 

Im Spätwerk verändert sich das Verhältnis von Inhalt zu Erscheinungsbild insofern, als Farben und Formen sich aus strengen Ordnungsprinzipien lösen. Gegen Ende der Entwicklungen werden auch mitunter spontane Pinselgesten bildbestimmend.

 

Boehler verlässt nie die Gegenständlichkeit. Seine späte Malerei wirkt wie ein Vorgriff auf die Neuen Wilden.

 

Resümee 

Nach Überwindung tiefer innerer Krisen, die seine Malerei vorübergehend verstummen ließen, erfindet sich Boehler im Spätwerk auf authentische Weise neu. 

 

Vor dem Hintergrund einer nach wie vor gesellschaftlich (Stichwort „Diskriminierung“), politisch (Stichwort „Kalter Krieg“) und auch persönlich schwierigen Situation (Identifiziert man sich als Amerikaner oder Österreicher?) ist Boehler innerlich wieder an den Punkt gelangt, dass es Werte und Gedanken gibt, die es sich in der Malerei − jenem elaborierten, wirklichkeitsverdichtenden Medium an der Seite der spontanen Zeichnung − zu vermitteln lohnt. Seine Inspiration und Schaffenskraft sind frisch entfacht. Die Unmittelbarkeit seiner Malerei steigert sich bis zum Ende hin sogar, folgt also einem sukzessiven Befreiungsprozess.
 

Die Anregung oder Ermutigung dazu erfolgt wohl weniger durch Vorbilder aus der zeitgenössischen Kunst, sondern entspringt einem inneren Geschehen. Denn abgesehen vom Formalen gibt es auch eine inhaltliche Steigerung hin zu den Gelöstheit, Freiheit und Vitalität darstellenden Werken wie „The Gossips“, „Summer on the Hudson“ und natürlich „The Age of Jazz“.

 

Jazz wird allgemein als „Begleitmusik des Wandels“ für die westlichen Gesellschaften des 20. Jahrhunderts bezeichnet und ist Symbol für Freiheit und Zivilcourage. Diese spricht vom Mut, humane und demokratische Werte wie Menschenwürde und Gerechtigkeit zu vertreten. Musik ist wahrscheinlich für alle von uns schon wichtiger Katalysator einer Stimmung oder Situation gewesen. Boehler liebte Jazz und das, wofür er stand. In seiner Malerei war es die Farbe, die zum Indikator und Ventil eines Befreiungsprozesses wurde und an Mut, Haltung und Authentizität nichts missen lässt.

 

 

 

 

Biografie

 

 Hans Boehler erblickte 1884 als Spross der Stahlindustriellenfamilie Boehler in Wien das Licht der Welt. Vierzehn Jahre zuvor war sein Vater Otto Boehler (1847 - 1913), Doktor der Chemie und einer traditionsreichen deutschen Händlerfamilie entstammend, aus Frankfurt am Main nach Wien gezogen, um in das in Kapfenberg gegründete Unternehmen seiner Brüder einzutreten. Seine Mutter Maria stammte aus dem böhmischen Krumau und war in Wien aufgewachsen. Hans Boehler und seine drei Brüder erlebten Kindheit und frühe Jugend in Wien und auf verschiedenen Besitzungen der Familie in Kärnten und Niederösterreich. Das Badener Haus und die dortigen Weingärten der Familie waren bevorzugter Ort der Sommerfrische, an den sich der Künstler auch in späteren Jahren gerne zum Malen zurückzog.

 

Hans Boehler in den 1950er Jahren (Nachlass des Künstlers)

 

In der Familie begegnete man Boehlers künstlerischen Talenten, zu denen auch eine außerordentliche musikalische Begabung zählte, mit Wohlwollen und förderte beides ( - die positiven Reaktionen auf ein 1901 im Aquarellistenclub ausgestelltes Werk waren dann wegweisend.) Nach innen wie nach außen lebte die gesamte Familie ein intensives Interesse an Kunst und Musik, man sammelte Gemälde und Antiquitäten, war unter anderem engagierter Förderer von Wagner und den Bayreuther Festspielen. Otto Boehler erlangte mit Scherenschnitten von Dirigenten sogar einige Bekanntheit als Künstler. Gemeinsam mit der Familie Wittgenstein zählte man jedenfalls zu den bedeutendsten privaten Kunst- und Kulturmäzenen im Wien des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

 

Salon im Elternhaus von Hans Boehler

 

Nach kurzem Studium an der Malschule des Wiener Pointillisten Franz Jaschke 1902 und einem nur mehrtägigen Intermezzo an der Wiener Akademie waren es vor allem autodidaktischen Studien, die Hans Boehler betrieb. Den familiären Respekt vor seiner Berufung zum Künstler verdankte er auf besondere Weise seinem Vater. Dieser hielt von seinem Sohn die Verpflichtungen gegenüber dem Familienunternehmen stets fern. 1910 allerdings - Hans Boehler war mit seinen 19 Jahren bereits Mitglied der Wiener Avantgarde und sein Atelier in Wien 4., Gußhausstrasse 16 von Josef Hoffmann fertig eingerichtet - gab es einen Versuch der Eltern, die Weichen seines Lebens doch noch in eine andere Richtung zu stellen. Anlass war seine Liaison mit der attraktiven, gebildeten und emanzipierten Friederike Beer.

 

Hans Boehler, Akt (Friederike Beer), ca. 1910 (Privatbesitz)

 

Beiderseits waren die Eltern jeweils gegen eine Verbindung. Hans Boehler wurde nun doch auf ausführliche Geschäftsreise in den Fernen Osten geschickt, wo er Interessen des Unternehmens wahrnehmen sollte.

 

1910 in der Transsibirischen Eisenbahn über Moskau auf dem Weg nach Ostasien konnte sich Hans Boehler bereits als starkes Element jener Kräfte betrachten, die sich gegen das Secessions- und Jugendstil-Establishment formierten. Er hatte sich in Wien einen Namen als Künstler gemacht. 1908 und 1909 hatte er an der von Gustav Klimt, Josef Hoffmann und Carl Moll organisierten Kunstschau teilgenommen. Durch Hoffmann war er mit Egon Schiele bekannt geworden, der ihn in die soeben von ihm gemeinsam mit u.a. Anton Faistauer und Franz Wiegele gegründete Neukunstgruppe einlud. Noch im selben Jahr zeigte Boehler Werke in der vom Publikum geschmähten, von der Kunstkritik jedoch vielbeachteten Ausstellung der Neukunstgruppe im Wiener Salon Pisko. Im Rahmen der Klimtgruppe nahm er 1910 an der künstlerisch ebenso prestigeträchtigen „I. Internationalen Jagdausstellung“ teil.

 

Hans Boehler in China, um 1911 (?)

 

Ob der Künstler als mehrmonatiger Gast des österreichischen Gesandten in Peking geschäftlich nützliche Beziehungen knüpfen konnte, weiß man nicht.

 

Es entstand jedenfalls eine bedeutende Werkgruppe an grafischen Arbeiten. Bevorzugtes Thema seit diesen frühen Jahren war die weibliche Figur, sei es im Kleid und Kontext der Zeit oder als Akt. Eine Teil dieser Studien wurde bald darauf von den Wiener Werkstätten in Form einer Mappe und einer Postkartenserie aufgelegt. Die angesehene Zeitschrift „Deutsche Kunst und Dekoration“ publiziert etliche Blätter, zahlreiche Originale wurden vom Dresdner Kupferstichkabinett und der Albertina angekauft.

 

                                 

Liegender Akt nach rechts, 1910/11                                       Sitzende Chinesin, 1910

(Giese und Schweiger)                                                                   (Giese und Schweiger)

 

Die Rückkehr Boehlers nach Wien fand beschleunigt durch eine trickreich vorgezogene Volljährigkeitserklärung von Friederike Beer schon 1912 statt. Die beiden waren bis 1917 ein Paar und sollten einander bis an ihr Lebensende aufs engste verbunden bleiben. Friederike Beer (spätere Beer-Monti) war es auch, die 1961 den Nachlass des Künstlers übernehmen sollte.

 

Ab 1912 arbeitete er wieder intensiv in seinem Wiener Atelier und sammelte Werke von Kollegen wie Klimt, Schiele, Kokoschka und Gütersloh. Mit Gütersloh und Schiele verband Boehler besondere Freundschaft und gegenseitige Wertschätzung der künstlerischen Arbeit. Boehler erwarb von Schiele unter anderem die bedeutenden und 1948 von der Österreichischen Galerie erworbenen Gemälde „Fenster“ (1914) und „Familie“ (1918).

 

Hans Boehler an Deck eines Schiffs, 1914

 

Mit der Asienreise war in Boehler ein nachhaltiges Reisefieber erwacht, das sein Leben und seine künstlerische Entwicklung prägen sollte. 1913 begab er sich mit Friederike Beer und seinem Bruder Richard auf Weltreise nach Süd- und Nordamerika (Bolivien, Columbien, Panama, Jamaica, Puerto Rico, Westindien, New York), wo die Farbenpracht der exotischen Natur in die Palette seiner Malerei Eingang fand. Auch in späteren Jahren waren es immer wieder Farberlebnisse im Zuge seiner Reisen, die ihn auf besondere Weise künstlerisch stimulierten. Boehler selbst spricht in diesem Zusammenhang vom Erleben von „Farbsymphonien“. Sein intensives Empfinden für Farbe führte früh zu einer besonderen Affinität zum Schaffen von Paul Gauguin. Werke des Künstlers befanden sich bereits in seiner Sammlung. Möglichkeiten, in Wien Werke von Gauguin oder van Gogh zu erwerben, hatten sich 1906 und 1907 in der Galerie Miethke geboten.

 

Der Erste Weltkrieg wurde für Boehler noch nicht zur großen Zäsur, da er als Schweizer Staatsbürger vom Kriegsdienst befreit war. Er bestritt in diesen Jahren zahlreiche Einzel- und Kollektivausstellungen in Wien und im Ausland (München, Hamburg, Kopenhagen, Stockholm). 

 

Die Situation für die Kunst war im Nachkriegs-Wien mehr als schwierig. Man taumelte zwischen postmonarchistischem Schock und gesellschaftlich-wirtschaftlichem Aufbruchswillen, dem aber die nötigen Mittel fehlten. Hans Boehler zog sich 1919/20 in die Schweiz zurück und hielt sich in Zürich und dem Tessin auf. Ungefähr zwei Jahre später kam er wieder nach Österreich, lebte aber nicht in Wien, wo sich an der Linken Wienzeile Nr. 52 sein zweites von Hoffmann ausgestattetes Atelier befand, sondern in seinem Haus in Baden (Gamingerstrasse Nr. 5). 1921 zeigte er in einer Gruppenausstellung im Künstlerhaus drei Porträts und eine Landschaft (aus Südamerika). Landschaftsdarstellungen waren es auch, die in den nächsten Jahren sein Oeuvre dominieren sollten.

 

In diese Zeit und möglicherweise zurückzuführen auf eine geänderte finanzielle Situation fielen die ersten Verkäufe aus seiner umfangreichen Kunst- und Antiquitätensammlung, die sich von mittelalterlichen Keramiken, Skulpturen und Asiatika bis zu Gemälden von Gauguin und Renoir erstreckte. Von Gustav Klimt besaß Boehler unter anderem die Gemälde „Tod und Leben“ (1910/15) und „Der Rosengarten“ (1912). Zwischen 1924 und 1929 war Boehler an verschiedenen Ausstellungen des Künstlerhauses und der Wiener Secession beteiligt sowie an den Biennalen von Venedig (1924) und Rom (1925). Die schon aus Zeiten der Neukunstgruppe datierende Bekanntschaft mit dem Kunstkritiker und Schriftsteller Arthur Roessler vertiefte sich zu einer Freundschaft mit intensivem Briefwechsel und kulminierte in der 1929 erschienenen Monographie „Der Maler Hans Boehler“.

 

1930 schien Hans Boehler auch wieder der Anschluss an die internationale Kunstszene zu gelingen: zusätzlich zu Ausstellungen in Wien wurden seine Bilder nach eigenen Angaben sehr erfolgreich zum Beispiel in Berlin, Hamburg und Düsseldorf gezeigt. Das Thaulow-Museum in Kiel präsentierte Arbeiten der Jahre 1922 bis 1929. In einer Postkarte schreibt der Künstler in guter und vielsagender Laune an Arthur Roessler: „Meine Bilder haben in Deutschland weit mehr Erfolg als hier...fein, was?“

 

"Landscape Red Roofs", 1929/30, Öl/Lw, 66,7 x 97 cm (Giese und Schweiger)

 

Zu den großen Reisen dieser Jahre gehörten jene nach Nordafrika 1930 und nach Spanien 1932. In diese Zeit fiel aber auch ein Schlüsselereignis für die weitere Zukunft von Hans Boehler und Friederike Beer-Monti, die sich von ihrem Ehemann, dem italienischen U-Bootkapitän Emanuele Monti getrennt hatte und aus Capri nach Wien zurückgekehrt war. Gemeinsam mit Boehler lernte sie Hugh Stix, einen jungen Kunstgeschichteabsolventen aus Harvard kennen. Es entwickelt sich spontan eine enge Beziehung. Parallel zur Verschärfung der politischen Lage in Österreich stellte sich für Boehler und Beer-Monti immer klarer die Frage nach einer Emigration in die U.S.A.. Mit ideeller Unterstützung von Boehler und nach ideologischem Vorbild der Secession gründete Stix in New York das Non-profit-Unternehmen „Artists´Gallery“. Zu den Sponsoren zählten namhafte Familien wie die Rockefellers und Mellons, zu denen Stix über seine Familie Kontakt hatte. Beer-Monti verließ Österreich für immer und wurde Leiterin der Galerie. Boehler blieb vorerst noch zurück und hatte zum Beispiel 1934 Ausstellungen in der Galerie Nebehay Wien sowie in der Berliner Galerie Gurlitt.

 

Artists' Gallery, New York, 1938

 

1935 distanzierte sich Hans Boehler schriftlich von einer Teilnahme am Kunstwettbewerb für die in Berlin stattfindende Olympiade 1936. Er hielt sich ab nun - ohne Wohnung und Atelier in Wien aufzulösen – vor allem in New York auf. Hier widmete ihm die Artists' Gallery im Rahmen ihrer Eröffnungsausstellung eine sechzehn Ölbilder und zahlreiche Zeichnungen umfassende Personale. 

 

Eine Reise nach Europa und Wien fand bereits 1937 gemeinsam mit seiner neuen Lebensgefährtin Selma Burke statt. Burke wurde in den U.S.A. später zu einer sehr erfolgreichen Bildhauerin und war einer der ersten anerkannten afroamerikanischen Künstler*innen überhaupt. 

 

Die Wiener Secession präsentierte 1937 in New York entstandene Zeichnungen Boehlers in einer Einzelausstellung. Der Aufenthalt endet abrupt mit der fluchtartigen Abreise aus Wien im März 1938. Kurz davor konnte Boehler in einer heimlichen Aktion noch den an ihn verliehenen Verdienstorden der Republik Österreich übernehmen. Da Boehler sein Vermögen betreffend keine Vorkehrungen treffen konnte, war er in den nächsten Jahren von Zuwendungen durch seinen ebenfalls in die U.S.A. geflüchteten Bruder Richard abhängig.

 

  

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit Beer-Monti in N.Y., 1930er                     Mit Hugh Stix, dem Gründer der Artists' Gallery

 

Als weltläufiger, des Englischen bestens mächtiger und weltoffener Mensch lebte er sich in New York mit seinen Bars und Jazzlokalen in den „american way of life“ vordergründig gut ein. Mit Ausstellungen wie einer Personale im Busch-Reisinger-Museum in Cambridge (1937) und Verkaufsausstellungen in Boston und Chicago (jeweils 1938) konnte er sowohl bei der Kritik als auch bei Sammlern Erfolge verzeichnen. Dennoch war er 1947, als ihm die amerikanische Staatsbürgerschaft verliehen wurde, in einer Schaffenskrise. 

 

Der Krieg, die Shoa und der Verlust von Freunden trafen ihn tief. Die Zerstörung seines Wiener Ateliers durch einen Bombentreffer 1945 machte den Gedanken an eine Heimkehr in ein in vieler Hinsicht kostbares Zuhause zunichte.

 

Hans Boehler in New York, um 1940


Der langjährige Freund und Mentor Albert Paris Gütersloh, der 1927 ein großformatiges Portrait Hans Boehlers gemalt hatte, begann sich nun in Wien für ihn und seine Rückkehr einzusetzen. 1949 stellte man Zeichnungen Boehlers in der Secession aus, 1951 ebenda drei Ölbilder in der Festwochenausstellung. Ab 1951 hielt sich Boehler häufig  in Wien auf, an seiner Seite die Amerikanerin Harriet Kresch. Die Gemeinde stellte Wohnung (18., Hockegasse Nr. 2) und Studio (18., Pötzleinsdorferstrasse Nr. 46) zur Verfügung (– das eigene Appartement war von russischen Offizieren belegt) und Boehler wurde mit offiziellen Ehrungen wie dem Preis der Stadt Wien (1954) und der Verleihung des Professorentitels (1955) ausgezeichnet. 

 

Bis zu seinem Tod in Wien 1961 an den Folgen eines Unfalles fanden sowohl in Österreich als auch in den U.S.A. zahlreiche Ausstellungen mit Werken Boehlers statt. Die umfangreiche, von Friederike Beer-Monti noch zu seinen Lebzeiten ausgerichtete Retrospektive in der Artists' Gallery in New York war starker und würdiger Höhepunkt dieses Künstlerlebens zwischen den Kontinenten.

 

Hans Boehler und Harriet Kresch, 1950er Jahre

 
 

Literatur:

Breicha, Otto, Hans Boehler. Gemälde und Graphik, Salzburg 1981

Gütersloh, Albert Paris, Zeichnungen von Hans Boehler, in: Profil, Österreichische Monatszeitschrift für Bildende Kunst, 3.Jg., 3, 1935

Hoffmann, Josef, The Painter Hans Boehler, in: Eröffnungskatalog der Artists´ Gallery, New York 1935

Rössler, Arthur, Der Maler Hans Boehler, Wien 1929

Thoma, Hans, Zu einigen Blättern aus Hans Boehlers ostasiatischer Studienmappe, in: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. XXIX, 1911-1912

 

Ausstellungskataloge:

Hans Boehler, Recent Paintings And Drawings, Artists' Gallery, New York 1957 

Hans Boehler, Fifty Years of Painting 1910 - 1960, Artists' Gallery, New York 1960 

Hans Boehler 1884 - 1961, Marlborough Fine Art Gallery, London 1968

Hans Boehler, Columbia Museum of Art, Columbia, South Carolina 1974

Hans Boehler, Zeichnungen, Galerie Wolfgang Ketterer, München

Hans Boehler, Leben und Werke, Galerie Martin Suppan, Wien 1990

 

 

Nachlass Hans Boehler

Der Nachlass von Hans Boehler ging nach dem Tod des Künstlers 1961 an Friederike Beer-Monti (1891-1980). Sie hatte sich schon immer um die Dokumentation des Werks bemüht und setzte diese Arbeit konsequent fort. Sie organisierte auch nach 1961 Ausstellungen mit Werken des Künstlers wie zum Beispiel 1968 in der Marlborough Fine Art Gallery in London oder 1974 im Columbia Museum of Art. 

 

2014 konnte der Nachlass von Kunsthandel Giese & Schweiger in den USA erworben werden. Er umfasst neben Gemälden, Zeichnungen und Skizzenheften sowie einer von Friederike Beer-Monti erstellten umfassenden Kartei mit Abbildungen von Werken des Künstlers auch zahlreiche persönliche Dokumente wie Notizbücher und Fotografien.

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